Hercules Viper Pro im Test – „Glück Auf“ sagt das Carbonbike

Alles Gute kommt aus Deutschland. Stahl, Kohle und vor allem Innovationen. Dinge wie MP3 sind eine Erfindung aus Deutschland, die deutsche Kohle ist die qualitativ hochwertigste. Deutsche Spezialstähle sind bis heute unerreicht. Das Hercules Viper Pro Carbon tritt also in große Fußstapfen. Kann es die Erwartungen an deutsche Ingenieurskunst und Verarbeitung erfüllen? Oder ist es mehr Blech als Stahl, mehr Strohfeuer als Kohlenglut? Schellack anstelle von MP3. Viele hochwertige Mountainbikes und Rennräder setzen auf den leichten Werkstoff. Carbonfaser gilt als Werkstoff der Zukunft. In Verbindung mit immer ausgefeilteren Produktionsmethoden rückt die Hochtechnologie langsam aber sicher in Richtung Mainstreammarkt vor. Der Preisverfall ist enorm. Während ein Carbonbike vor einigen Jahren locker die 5000 Euro-Marke durchbrach, sind heute vereinzelt Carbonbikes für 1000-1500 Euro auf dem Bikemarkt zu finden.

Eine bissige Schlange das Hercules Viper Pro

Das Hercules Viper Pro ist ein Vertreter dieser Klasse. Mit 1499,- Euro ist es extrem günstig und bietet einen Komponentenmix aus Shimano Tiagra und 105. Es ist kein reines Rennrad. Es wird als Urbanbike platziert. Mit einem Gewicht von 8,9 kg ist es leichter, als fast alle konventionellen Alu- und Stahlbikes. Die Gabel ist (wie der Rahmen) komplett aus Carbon gefertigt und kann durch ihre enorme Steifigkeit überzeugen. In Fahrtrichtung flext sie die eine oder andere Unebenheit rüde weg. Beim Bremsen steht sie wie ein Fels in der Brandung. Die verbauten Pivot-Bremsen von Shimano aus der Tiagra-Serie greifen beherzt zu und lassen sich gut dosieren. Die Bremsklotzmischung ist optimal getroffen. Das Bike verzögert zuverlässig bei jeder Witterungslage. Selbst bei Regen ist die Bremsleistung enorm (beinahe Scheibenbremsenniveau). Die Tiagra-Bremsen lassen sich perfekt zentrieren und einstellen. Kein langes fummeln, weil eine Seite schleift. Die Bremsen verfügen über ein Quickrelease, um bei einer Panne das Rad bequem demontieren zu können. Bei den Bremshebeln kann die Griffweite eingestellt werden. Mehr Schnick-Schnack geht, braucht aber kein Mensch.

Guter Komponenten Mix Shimano Tiagra und 105er

Die Shimano 105er Schaltung am Hercules Viper Pro verrichtet ihren Dienst unauffällig und unspektakulär. Während hinten die Gänge fluffig reinrutschen, tut sich der vordere Umwerfer etwas schwer. Beim Schalten muss das eine oder andere mal beherzt nachkorrigiert werden. Leider schleift der Umwerfer auch in dem einen oder anderen Gang. Hier hätten wir den Verzicht auf die vorderen Kettenblätter besser gefunden. Ein Kettenblatt in Verbindung mit einer weit gefassten Abstufung hinten, hätten hier den Dienst besser und leichter verrichtet. Der Umwerfer ist lieblos an einem Aluträger geschraubt. Der Aluträger ist mit dem Rahmen vernietet. Das hat sicherlich den Vorteil, den Rahmen vor Beschädigungen durch zu stark angezogene Schellen zu schützen, sieht aber richtig schlecht aus. Diese Lösung hat uns gar nicht gefallen. Hier ist deutlich Luft für Verbesserung. Der Verzicht auf den Umwerfer und die Kettenblätter wäre für ein Urbanbike der richtige Weg gewesen.

Weniger Carbon am Hercules ist mehr

Während Hercules bei der Gabel und beim Rahmen Carbonfaser verbaut, kommt bei den Felgen, Sattelstütze und Lenker altbewährtes Aluminium zum Einsatz. Unserer Meinung nach mehr als sinnvoll. Sicherlich hätten sich einige Gramm sparen lassen. Der Preis wäre dafür aber deutlich höher ausgefallen und die Wartungsfreundlichkeit hätte gelitten. Alu ist gegenüber Carbonfaser wesentlich unempfindlicher, was Quetschbelastungen angeht. Ich kenne niemanden, der Sattelstütze oder Lenker mit einem Drehmomentschlüssel anzieht. Drehmomentschlüssel sind nämlich die kleinen Schwestern von Leuchtjacke (nichts für echte Kerle). Im Test hat sich die Einstellung des Lenkkopflagers als echtes Geduldsspiel erwiesen. Zwischen zu fest und Sturz in den Graben und klapprigem Wackeldackel lagen maximal 1/10 Umdrehung. Das FSA-Lenkkopflager verrichtet nach dem Einstellmarathon seinen Dienst wie es soll.

Unauffällige und zuverlässige Komponenten

Die Tiagra-Kurbel kurbelt – was wird auch sonst von einer Tretkurbel erwartet? Was bei diesem Urbanbike nicht vergessen werden sollte, ist die geringe Bodenfreiheit. Wer mit Druck auf der Pedale durch die Kurve möchte, sollte das tunlichst gut timen. Ansonsten drohen böse „Aushebler“. Ein entspanntes rollen mit horizontal ausgerichteten Pedalen sorgt hier für Abhilfe und wesentlich weniger Adrenalin. Die Schwalbe „XXXX“ Reifen sorgen für eine enorme Haftung auf trockner Straße. Mit der Kevlareinlage ereignen sich Reifenpannen so gut wie nie (in vier Monaten täglichen Arbeitsweg kein Mal).

Das Viper Pro ist ein echtes Leichtgewicht

Mit nur 8,9 kg ist das Hercules Viper Pro ein echtes Leichtgewicht. Es ist agil und reagiert schnell und stabil. Vielleicht etwas widerwillig bei rasanten Überholaktionen im dichten Feierabendverkehr. Das 90 Grad wieder einfädeln könnte etwas leichter von der Hand gehen. Geradeauslauf und Beschleunigung sind wirklich gut. Kein Vergleich zu einem Fully. Spritzig wie ein Aperol, lässt das Hercules Viper Pro alles andere locker, lässig hinter sich.

Fazit: Wer ein Bike für den tagtäglichen Weg zur Arbeit sucht und dabei auf moderne Materialien nicht verzichten will, der sollte sich überlegen, anstelle eines langweiligen Tourenbikes das Viper Pro von Hercules zu kaufen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Geringes Gewicht, alltagstaugliche Bremsen und Schaltung gepaart mit dem Hauch von Exklusivität. Nach einem Singlespeed Beachcruiser, einem Hardtail Mtb und einem E-Bike ist das Viper Pro bis jetzt die potenteste Waffe im öffentlichen Straßenverkehr (Das Grace Easy S zähle ich hier nicht mit). Neben dem Weg zur Arbeit meistert das Hercules natürlich auch längere Touren auf asphaltierten Wegen ohne Probleme. Der Sattel könnte etwas komfortabler sein und die Optik mit der bunten Lackierung dürfte nicht jedermanns Sache sein. Hier wäre ein wenig mehr „Understatement“ schön gewesen. Mit den Crud-Guards eignet sich das Carbonbike bei guten wie bei schlechten Wetter für die Fahrt zur Arbeit. Die Crud-Guards sind optisch an dem Renner gerade noch zu vertreten und verrichten ihren Dienst perfekt und unauffällig. Die kompromisslose Härte des Bikes sorgt natürlich auch für einen entsprechenden Vortrieb. Kein Joule Energie geht durch Federung oder flexen im Rahmen verloren. Nervig ist das Lenkkopflager. Hier halfen alle Tricks nichts. Nach 3-4 Wochen war nachjustieren angesagt. Das Hercules macht in der Stadt richtig Laune. Es fetzt zwischen den Autos durch. Es verzögert vehement und mit Nachdruck. Die Schaltung ist ein wenig widerwillig und lässt sich manchmal ein wenig zu sehr bitten. Das Rad fällt relativ klein aus. Zumindest optisch scheint es immer eine Nummer kleiner zu sein. Die Geometrie passt aber. Optisch hätte das Hercules Viper Pro durchaus gefälliger sein können. Etwas zu bunt für unseren Geschmack. Für uns steht fest: optimales Bike für den Arbeitsweg. Bestens geeignet für den Guerillakampf gegen stumpfsinnige Autofahrer.

Mehr Infos:
http://www.hercules-bikes.de


Kommentare

Eine Antwort zu „Hercules Viper Pro im Test – „Glück Auf“ sagt das Carbonbike“

  1. […] Das ist wirklich ein dicker Minuspunkt. Selbst die Tiagra-Felgenbremsen an unserem alten Hercules Viper Pro sind bissiger und verzögern zuverlässiger. Das optische Finish des Bikes kann voll und ganz […]

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